Wo sind die Teile geblieben?
Nehmen wir einmal eine Tonleiter. Ich habe mich von der Lehrkraft breitschlagen lassen und habe brav meine Tonleitern geübt. Und dann sehe ich ein Stück, wie die Sonata Facile in C-dur von W-A- Mozart. Es gibt zwar Passagen, die fast wie eine C-dur Tonleiter sind, aber die Tonleiter selbst kommt ja gar nicht vor. Warum übe ich da nicht einfach gleich das Stück? Wenn die Teile der Musik einzelne Abschnitte sind, warum unterteilen wir nicht einfach alles in einzelne Takte und üben die dann schön der Reihe nach? Tatsächlich wurde mir auch schonmal als Student aufgetragen, so zu üben. Es hat nicht funktioniert.
Auch die Musik hat ein vielschichtiges Wesen
Funktionale Spieleranalyse
Holarchie – aus „Holon“ und „Hierarchie“
- EXISTENZ Blosses Sein
- BEZIEHUNG Grundemotionen: Lust, Unlust
- DYNAMIK WIrksamkeit und Dominanz, Effektivität
- ORDNUNG Absolute Ordnung, absolute Ästhetik
- INDIVIDUALITÄT individuelle Emotionalität und Ästhetik
- GANZHEIT Fähigkeit zur Verschmelzung mit Anderen
- KREATIVITÄT Gewahrsames Sein
Die Teil – Funktionalitäten
- Geläufigkeit Wir üben Tonleitern und Etüden
- Klangdifferenzierung Wir machen Übungen zur Lautstärke und Klangdifferenzierung
- Hören Wir hören ein Stück von der CD oder das Ergebnis unseres Spiels
- Lesen Wir lesen die Noten erkennen die Struktur der Musik.
- Training von Abschnitten und ganzen Abläufen
Die ist eine ungeordnete Liste von Teilfähigkeiten, die bei den verschiedenen Musikerberufen unterschiedlich stark vorhanden und ausdifferenziert sind. Für Virtuosen stehen Technik, Klangdifferenzierung und Training im Vordergrund. Kapellmeister und Korrepetitoren werden sehr gut Lesen und einstudieren können. Akteure des Musiktheaters brauchen ganz spezielle Fähigkeiten des individuellen Ausdrucks, da sie nicht nur die Musik, sondern eine ganze Person in die Realität bringen.
Komponisten schaffen ein neues Werk. Sie sind in der Lage aus den Grundelementen der Musik wie Rhythmus, Dynamik, Klang, Melodie und Form etwas neues zu schaffen. Sie sind die ordnungsorientierten Kreativen.
Und schließlich sind da noch die Improvisateure. Sie sind die spontanen Kreativen.
Musikalische Arbeit
Aufbau musikalischer Funktionalitäten
Damit wir nicht bei jedem Stück das Rad neu erfinden müssen, werden wir gewisse Grundfertigkeiten aufbauen und einem gewissen Stil gemäß verfeinern. Dabei gilt zu beachten, dass auch diese Fähigkeiten quasi miteinander verwoben sind. Wenn wir Musik hören z.B, verankern wir das gehörte gleichzeitig als visualisierte Noten, wie auch als Griffabfolge oder Folge von Vokalbildungen. Das ist ein Grundprinzip unseres Gedächtnisses. Das ist die vielfältige Verankerung von Wahrnehmung mit Emotion, Intellekt und Handlung. Wir schulen uns also als Musiker immer ganzheitlich. Dabei hat es sich aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Effizienz als vorteilhaft erwiesen, in jedem Übungsabschnit den Focus auf eine Funktionalität und ein Thema zu setzen.
Ein Stück erarbeiten
Dem Grad unserer Ausbildung entsprechend, stehen wir dann dem Stück oder der Rolle als mehr oder weniger entwickelte und differenzierte Spieler- oder Sängerpersönlichkeiten gegenüber. Da die Teilfunktionen geübt sind, wird vieles jetzt schon gut funktionieren. Wir tun gut daran, nur Werke zu studieren, die wir noch nicht in einem weniger entwickelten Zustand erarbeitet haben. Wenn das dennoch mal so sein muß, empfiehlt es sich das Werk wieder in seine musikalischen Bestandteil zu zerlegen und diese als Etuden zu üben.
Natürlich kommt dann auch der Moment, wo wir eine Art Repetition (franz. WIederholung) betreiben müssen. Und da gibt es eine nicht zu unterschätzende Gefahr, die Gefahr der Auslöschung des gesamten Gedächtnisinhaltes durch wiederholtes Spielen.
Wir können der Gefahr entgegenwirken, wenn wir immer wieder einen Aspekt der Musik in Beziehung setzen mit einem anderen. Also Melodie zu Dynamik oder Klang zu Emotion, oder die bekannteste Beziehung beim Klavierspielen: Rechte Hand (Melodie) zur linken Hand (Begleitung).